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26. September 2025
Die Epoche der Transformationen: Lucia Kotikova über Die kleinen Meerjungraun
Bühnen Bern
Foto: Bühnen Bern Die kleinen Meerjungraun: Eine Einschwörung auf die Epoche der Transformationen und eine Konfrontation mit der ewigen Anpasserei.

Kim de l’Horizon und die Bühnen Bern: Eine Liebesbeziehung. Am Samstag steht erneut eine Uraufführung an: Die kleinen Meerjungraun: eine Einschwörung auf die Epoche der Transformationen. Wie der Titel vermuten lässt, handelt es sich um eine Überschreibung des Märchenstoffs der kleinen Meerjungfrau. Eine Geschichte über die Sehnsucht nach einem anderen Körper und den Preis des gesellschaftlichen Aufstiegs. Lucia Kotikova spielt eine der drei Meerjungraun. Sie stand bereits mit dem Blutbuch von Kim de l’Horizon auf der Bühne.

RaBe Info: Lucia Kotikova, du spiels ein Meerjungraun in der Premiere vom Samstag. Was soll so ein Meerjungraun sein?
Lucia Kotikova: Genau das haben wir uns am Anfang auch gefragt. Ich finde die Frage eigentlich gar nicht so wichtig, weil jede*r sich darunter etwas Eigenes vorstellen kann. Und was sich die Menschen vorstellen, stimmt dann ja auch.

«Um dazugehören zu können, schneidet man sich den Fischschwanz entzwei, bekommt Beine – und passt sich an.»
Lucia Kotikova Schauspielerin

RaBe Info: Was passiert im Stück auf einer Handlungsebene?
Lucia Kotikova: Drei Lebendige kommen herein und fragen sich: Wie sind wir hier gelandet? Nicht unbedingt an diesem Ort, sondern eher: Wie sind wir in diesem Leben gelandet? Wie konnte das passieren? Wir merken, dass diese Fragen uns nicht weiterbringen. Also spulen wir zurück, gehen das Leben noch einmal durch. Da gibt es die Erinnerung ans Meer: das Gefühl, dort nicht mehr hingehörig zu sein. Der Wunsch entsteht, rauszugehen, zu den Menschen. Um dazugehören zu können, schneidet man sich den Fischschwanz entzwei, bekommt Beine – und passt sich an. Am Ende erkennt man: Ich habe mein Leben lang versucht, eine*r von euch zu sein – und bin immer wieder daran gescheitert. Es ist also eine Art Erweckungsruf für alle, die sich angepasst haben. Und die Wahrheit ist: Das haben wir alle. Schon der Titel und die Geschichte erzählen vom Aufstieg aus dem Wasser.

«Ich habe mein Leben lang versucht, eine*r von euch zu sein – und bin immer wieder daran gescheitert. »
Lucia Kotikova Schauspielerin

RaBe Info: Das erinnert an die kleine Meerjungfrau. Aber du sagst: Es ist eine Analogie fürs Nicht-Dazugehören. Du sprichst dabei von Identitätsirritation. Was meinst du damit?
Lucia Kotikova: Es gibt Menschen, die von Anfang an irritiert sind über sich selbst. Andere sind lange sehr sicher – und werden plötzlich irritiert. Ich selbst bin immer irritiert. Aber manche merken nach 50 Jahren: Hey! Warum mache ich das eigentlich? Habe ich das schon immer gemacht? Mir war das gar nicht bewusst. Dieser „Hey“-Moment kann eine Identitätsirritation sein.

RaBe Info: Du spielst nicht zum ersten Mal einen Text von Kim de l’Horizonbei Bühnen Bern. Du hast sogar Preise gewonnen, etwa für den Monolog aus dem Blutbuch. Wie ist es für dich, erneut einen Text von Kim aufzuführen – Texte, die ja sehr dicht sind, voller Sprachspiele, Metaphern und Mehrdeutigkeiten?
Lucia Kotikova: Spannend! Manche Sätze tauchen in verschiedenen Texten wieder auf. Ich finde das gar nicht unkreativ, im Gegenteil: Ich freue mich, Bekanntes wiederzuentdecken. Zum Beispiel den Satz: „Ich bin zu fein, um fein zu sein.“ Ein großartiger Satz – und heute lese ich ihn ganz anders als damals bei Hänsel and Greta and The Big Bad Witch. Kims Texte machen Spass, weil man ständig Wörter hinterfragt. Es entstehen so viele neue Worte, dass man sich irgendwann fragt, ob die alten je wirklich existiert haben. Für mich sind Kims Texte wie Zaubersprüche – sie vergegenwärtigen etwas.

RaBe Info: Hast du eine Lieblingsstelle?
Lucia Kotikova: Jeden Tag habe ich eine andere. „Ich bin zu fein, um fein zu sein“ finde ich einen tollen Satz. Aber nee, es ist zu hart zu wählen.

RaBe Info: Und ein neues Lieblingswort?
Lucia Kotikova: „Hyänisch“. Das Wort „hysterisch“ finde ich furchtbar – es wurde von einem Idioten erfunden, um Frauen und FLINTA abzuwerten. Hyänisch dagegen akzeptiere ich gern noch hundert Jahre lang. Aber eigentlich möchte ich, dass die Leute selbst zuhören, eigene Wörter entdecken und mir dann sagen, was für sie hängen geblieben ist.

Die kleinen Meerjungraun auf der Bühne

Wer Lucia Kotikova seine einen Lieblingswörter aus dem Theaterstück „Die kleinen Meerjungraun“ mitteilen will, kann das ab Samstag tun: Die Uraufführung von Die kleinen Meerjungraun startet um 19.30 in den Vidmarhallen. 

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