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16. Dezember 2025
Bericht zur Palästinademo: «Der Einsatz hatte einen strafenden Charakter»
Kritisches Fotografiekollektiv
Foto: Kritisches Fotografiekollektiv

Die Palästinademonstration vom 11. Oktober in Bern sorgt bis heute für Diskussionen. Hunderte Personen wurden verhaftet, Dutzende verletzt. Neben der Gewalt einzelner Demonstrierender rückte rasch auch die Frage nach der Verhältnismässigkeit des Polizeieinsatzes in den Fokus. Zwei Monate nach den Ereignissen hat Amnesty International Schweiz nun einen umfassenden Bericht vorgelegt.

Neu sind die Vorwürfe darin kaum. Bereits kurz nach der Demonstration hatten Medien und Beobachtende von Polizeigewalt berichtet. Der Mehrwert des Berichts liegt jedoch in seiner Breite und Tiefe: Die Menschenrechtsorganisation hat über 180 Zeug*innenaussagen ausgewertet, eigene Beobachtungen gemacht, Videomaterial überprüft, ärztliche Berichte analysiert und Gespräche mit der Polizei sowie mit dem zuständigen Sicherheitsdirektor Alec von Graffienried geführt. Beat Gerber von Amnesty International Schweiz spricht von einer bislang einzigartigen Aufarbeitung: «Wir haben uns wirklich die Mühe gemacht, über 180 Zeug*innenaussagen auszuwerten. Das alles gibt ein recht differenziertes, umfassendes Bild.» Rund 100 der befragten Personen waren selbst im sogenannten Kessel eingeschlossen worden, bei insgesamt etwa 500 eingekesselten Menschen ein erheblicher Anteil. Auffällig sei gewesen, so Gerber, dass viele Betroffene wenig Erfahrung mit Demonstrationen hatten: «Die haben nicht mit dieser Gewalt gerechnet.»

Der Bericht kommt zu einem deutlichen Schluss: Amnesty International spricht von einem ungerechtfertigten und exzessiven Polizeieinsatz, von schwerwiegenden Fehlern und von Gewalt auch gegen Unbeteiligte. «Es wurden Gummigeschosse auf Kopfhöhe abgefeuert, friedliche Demonstrant*innen und Passanten gefährdet und verletzt. Es wurden Hunderte von Menschen in einer dichten Menschenmenge eingekesselt, mit Wasserwerfern, Tränengas und Gummigeschossen eingedeckt und ohne Möglichkeit zu fliehen über sehr viele Stunden festgehalten.» Die Aussagen der Betroffenen seien teilweise «wirklich schockierend». Insgesamt habe der Einsatz «eher einen strafenden Charakter gehabt, als dass er zum Ziel hatte, die Situation zu deeskalieren», so Gerber. Zwar räumt Amnesty ein, dass eine Gruppe von Demonstrierenden erheblichen Sachschaden verursacht habe. Die polizeiliche Reaktion sei jedoch von Fehlern geprägt gewesen und habe die Lage weiter eskaliert.

Als Konsequenz fordert Amnesty International Schweiz nun eine unabhängige Untersuchung der Vorfälle. Diese solle von den Berner Behörden angeordnet und von einem externen Gremium durchgeführt werden. Solche Untersuchungen seien in der Schweiz jedoch selten, bedauert Gerber: «Häufig werden solche Vorfälle von übermässigem Gewalteinsatz der Polizei ausgesessen oder intern abgehandelt. Und das ist eigentlich der falsche Ansatz. Es wäre durchaus gerechtfertigt, das jetzt unabhängig untersuchen zu lassen.» Dabei gehe es nicht nur um Kritik an den Einsatzkräften, sondern auch um Lehren für die Zukunft. Wie Demonstrationen polizeilich begleitet werden, müsse grundlegend überprüft werden.

«Man macht sich nicht beliebt, wenn man Demonstrationen beobachtet, die am Rand einen gewalttätigen Charakter hatten. Und trotzdem machen wir uns stark für die Verteidigung der Grundfreiheiten. »
Beat Gerber Amnesty International

Warum investiert Amnesty International so viel Zeit und Ressourcen in diesen Bericht? Für die Organisation steht mehr auf dem Spiel als ein einzelner Polizeieinsatz. Gerber warnt: «Wir sehen das Recht auf Protest in Gefahr; nicht nur in der Schweiz, sondern global.» Demokratische Freiheitsrechte würden zunehmend eingeschränkt. Auch wenn dies Widerstand auslöse, gehöre es zur Aufgabe von Amnesty, staatliches Handeln kritisch zu begleiten: «Man macht sich nicht beliebt, wenn man Demonstrationen beobachtet, die am Rand einen gewalttätigen Charakter hatten. Und trotzdem machen wir uns stark für die Verteidigung der Grundfreiheiten und appellieren an ein verhältnismässiges und zurückhaltendes Eingreifen.» Das Recht auf Protest müsse verteidigt werden, auch dann, wenn man mit den Inhalten oder Formen eines Protests nicht einverstanden sei.

Redaktion der Sicherheitsdirektion des Kantons

Wenige Stunden nach der Veröffentlichung des Berichts von Amnesty International meldete sich die kantonale Sicherheitsdirektion zu Wort. Diese kritisiert den Bericht scharf: Die Darstellungen seien einseitig und auf unbelegten Behauptungen belegt. Amnesty International verharmlose die von einer grossen Anzahl vermummter Teilnehmer angewandte massive Gewalt gegen Menschen und Sachen. Die Vorwürfe von Amnesty International seien unberechtigt. Auf die von Amnesty International geforderte unabhängige Untersuchung geht die Sicherheitsdirektion nicht ein.


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