Am Abend des 9. Novembers 1989 verkündete Günter Schabowski, damaliger Sekretär für Informationswesen der DDR an einer Pressekonferenz den Fall der Berliner Mauer.
Noch in der selben Nacht strömten tausende Menschen aus Ostberlin über die Grenze, um sich umzuschauen und Verwandte und Freund*innen zu treffen. Das Interesse in Westberlin hingegen habe sich damals stark in Grenzen gehalten, sagt Annette Schuhmann, Redaktorin von Zeitgeschichte-online und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam.
Schuhmann selber hatte die DDR einige Monate vor dem Maurfall verlassen, weil sie Geschichte studieren wollte. In der DDR war ihr dies nicht vergönnt, weil Geschichte in der DDR ein hochpolitisiertes Fach war und sie nicht Mitglied der kommunistischen Freien Deutschen Jugend war.
Die Berliner Mauer wurde im Jahre 1961 errichtet, um die Fluchtbewegungen aus dem Osten nach Westdeutschland zu unterbinden. Sie machte Westberlin zur Enklave der Westmächte, und gilt als eines der wichtigsten Symbole des Kalten Krieges.
Laut Schuhmann machte sich nach der ersten Euphorie über den Mauerfall im Osten Deutschlands alsbald Unsicherheit und Ernüchterung breit, weil mit dem Niedergang des SED-Regimes Leben und Alltag komplett neu organisiert werden mussten. Die meisten sozialen Einrichtungen zum Bespiel waren zu DDR-Zeiten an die Produktionsbetriebe gekoppelt. Im Rahmen der Wiedervereinigung, der «Übernahme und Abwicklung» des Ostens, wie Schuhmann es nennt, habe es zwar viele zivilgesellschaftliche Gruppierungen gegeben, die sich aktiv für die Neugestaltung der Neuen Bundesländer eingesetzt hätten. Zahlenmässig aber seien sie eher schwach gewesen, weil der Grossteil der Bevölkerung damit beschäftigt gewesen sei, seine Existenz zu retten.
Die These, welche das heute in den Neuen Bundesländern stark verbreitete, rechtsradikale Gedankengut mit der Verunsicherung erkläre, die aufgrund der sozialen Brüche und wirtschaftlich prekären Situation entstanden sei, greift laut Annette Schuhmann zu kurz. Ihrer Meinung nach ist die mangelnde Auseinandersetzung des DDR-Regimes mit rechtsradikalen Vorfällen die weitaus wichtigere Ursache. Rechtsradikalimus und extreme Gewaltbereitschaft habe es auch in der DDR stets gegeben, thematisiert worden aber seien sie nie. Mit den Begriffen des Antifaschismus und des Antifaschistischen Schutzwalls (die Berliner Mauer) und der Idee, dass sich die ehemaligen Nationalsozialist*innen ausschliesslich im Westen befänden, wurde der Bevölkerung ein «Gesamt-Persilschein» ausgestellt, mit dem Versprechen, sich um rechtsextreme Gesinnung und Gewalt nicht kümmern zu müssen.