Es sind happige Vorwürfe an den Kanton Bern. Die Stiftung gegen Gewalt an Frauen und Kindern und der Verein Solidarité Femmes Biel/Bienne warnen in einer Mitteilung vor einer akuten Notlage. Die kantonalen Frauenhäuser seien stark überlastet und bei den Opferhilfe-Beratungsstellen werde das Geld knapp.
Opferschutz sei eine staatliche Aufgabe, schreiben sie, doch der Kanton Bern nehme seine Verantwortung nicht wahr und gefährde damit die Sicherheit der betroffenen Frauen und Kinder.
In den Frauenhäusern herrsche akuter Platzmangel. Viele gewaltbetroffene Frauen müssten aktuell in Hotels untergebracht werden, obwohl sie dort weder sicher seien noch angemessen betreut werden könnten, schreibt die Stiftung gegen Gewalt an Frauen und Kindern, die im kantonalen Auftrag 2 der 3 Bernischen Frauenhäuser betreibt.
Dies seien keine neuen Informationen, erwidert Gundekar Giebel, Kommunikationschef der kantonalen Gesundheits- und Sozialdirektion GSI. Es sei üblich, dass im Falle von fehlenden Kapazitäten bei den kantonalen Frauenhäusern, Personen in Frauenhäusern anderer Kantone oder in Hotelzimmer untergebracht würden.
Gemäss Stiftung sind die Bernischen Frauenhäuser aktuell zu rund 90% ausgelastet. Optimal funktionieren könnten sie jedoch nur bei einer Auslastung von 75%, um jederzeit über genügend freie Plätze zu verfügen. Dazu verweist sie auf die Empfehlungen der Konferenz der kantonalen Sozialdirektor*innen SODK. Gundekar Giebel seinerseits verweist auf eine andere Studie, des Büros für arbeits- und sozialpolitische Studien BASS, welche bei grösseren Frauenhäusern von einer Maximalauslastung von 89% ausgeht. Die Zahlen der letzten Jahre zeigten, dass der Auslastungsgrad somit akzeptabel sei.
Derweil sprechen die Opferschutz-Organisationen von einer akuten Notlage und fordern vom Kanton dringend mehr finanzielle Mittel.
Der Kanton winkt ab und verweist diesbezüglich auf die neue kantonale Opferhilfestrategie. Diese legt die Strategie der Berner Opferhilfe der nächsten zehn Jahre fest und gibt Kostenneutralität vor, sprich dass auch bei steigendem Bedarf nicht mehr finanzielle Mittel zur Verfügung stehen. Mittelfristig soll gemäss Opferhilfestrategie mehr Geld für die Betreuung der Opfer freigeschaufelt werden, indem man beim Überbau spart, heisst die Strukturen verschlankt und die Prozesse vereinfacht.
Dies begrüsst auch die Stiftung gegen Gewalt an Frauen und Kindern. Gleichzeitig betont sie, dass es angesichts der aktuellen Entwicklung nicht realistisch sei, die vorgegebene Kostenneutralität einzuhalten. 2022 sei der Bedarf erheblich angestiegen, was nicht nur die überlasteten Frauenhäuser zeigen, sondern auch die Zahlen der Beratungsstellen. Bei der Hotline AppElle! seien 2021 insgesamt rund 2400 Anrufe eingegangen, im ersten Halbjahr 2022 waren es bereits über 2000.