Im heutigen Info berichten wir über Beirut, wo die Kulturszene in Existenznot geraten ist, wir blicken nach Halle in Ostdeutschland, wo der Prozess zum rechtsextremen Attentat begonnen hat. Und ausserdem sprechen wir mit Matto Kämpf über dessen neues Solo-Comedy-Programm «Am Apparat». Den Podcast gibts hier:
Beiruts Kulturszene in Existenznot
Die libanesische Hauptstadt Beirut ist weitum bekannt für ihre blühende, lebendige Kultur-, Kunst- und Partyszene. Dabei kämpft die Kulturszene schon länger an diversen Fronten: Im Libanon grassiert die schwerste Wirtschaftskrise seit dem Ende des 15-jährigen Bürgerkrieges im Jahre 1990. Im Oktober 2019 begannen die Massenproteste gegen Korruption und Vettern- und Misswirtschaft, an denen sich auch die Kulturschaffenden beteiligten. Viele Kulturbetriebe hielten ihre Tore aus Solidarität während rund 2 Monaten geschlossen. Im Februar 2020 folgte auch im Libanon der Corona-Lockdown, was die existenziellen Nöte der Kulturszene nochmals verstärkte.
Schliesslich haben auch viele Kulturschaffende bei der verheerenden Explosion im Hafen von Beirut vom 4. August 2020 ihr Hab und Gut verloren. Ateliers, Proberäume und Clubs wurden verwüstet, Arbeitsmaterial und Instrumente wurden zerstört. Seither leben sie von ihren Ersparnissen, den Ersparnissen ihrer Familien und Verwandten im Ausland. Viele Kulturschaffende hätten das Land inzwischen bereits verlassen, andere blieben in der Hoffnung, beim Aufbau eines besseren und menschlicheren Libanons mitzuwirken, sagt Ruedi Felder.
Neun Jahre lang lebte Felder als Musiker und Hausmann in Beirut, vor zwei Monaten ist er in die Schweiz zurückgekehrt. Um die Kulturschaffenden in Beirut zu unterstützen, organisiert Felder das Benefizkonzert Beyrouth-Express im BeJazz in Bern. Die gesammelten Einnahmen fliessen direkt zu betroffenen Kulturschaffenden in Beirut.
Veranstaltung: Beyrouth-Express, Benefizkonzert für Kulturschaffende in Beirut, BeJazz Club, Donnerstag, 8. Oktober 2020, 20:30 Uhr
Halle ein Jahr nach dem Anschlag – eine Audiodokumentation
Am 9. Oktober 2020 jährt sich das Attentat von Halle in Ostdeutschland, bei dem ein rechtsextremer Attentäter versuchte, eine Synagoge anzugreifen. Die jüdische Gemeinde feierte an diesem Tag den höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur. Der Attentäter wollte bewaffnet die Synagoge stürmen, doch die Tür hielt stand und verhinderte ein Massaker. Seine Taten hat der Attentäter per Livestream online gestellt. Er hat insgesamt zwei Personen umgebracht, wollte aber weitaus mehr Menschen töten.
Am 21. Juli 2020 begann in Magdeburg der Prozess gegen den Attentäter. An insgesamt 18 Prozesstagen sollen über hundert Zeug*innen angehört werden. Das Gericht scheint aus den Fehlern der NSU-Prozesse gelernt zu haben: Im Halle-Prozess wird den Überlebenden viel Raum geboten, ihre Erfahrungen zu schildern. Wichtig beim Prozess sind auch die Stimmen der 43 Nebenkläger*innen. Mitte November ist mit einem Urteilsspruch zu rechnen.
Der Verein Halle gegen Rechts hat mit Radio Corax zu jedem der bisher 15 Prozesstage einen Podcast produziert. Laut Valentin Hacken vom Verein Halle gegen Rechts ist es wichtig, das Attentat zivilgesellschaftlich aufzuarbeiten und den Überlebenden eine Stimme zu geben.

Was trieb den Attentäter an? Eingangstür der Synagoge mit Einschusslöchern (Photo by Jens Schlueter/Getty Images)
Matto Kämpf am Apparat
«Wie wenn der Niesen einstürzt», so beschreibt Matto Kämpf sein Comedy-Programm. Ein einschneidendes, vielleicht sogar lebensbedrohendes Ereignis also. Ganz so arg dürfte es nicht zu und her gehen in «Am Apparat», dem ersten Solo-Programm, welches Theatermacher, Autor und Filmemacher Matto Kämpf zusammengestiefelt hat. Ein Angriff auf den gesunden Menschenverstand wird der Theater-Abend aber garantiert werden, denn Kämpf ist bekannt für seinen skurrilen und absonderlichen Humor. Mit viel Lakonie zerpflückt er gerne die Absurditäten des Provinz-Alltags, verkehrt, überzeichnet und kalauert, was das Zeugs hält.
Bühnenschabernack betrieb Kämpf bis anhin als Teil des Trios Gebirgspoeten, als Literat, der aus seinen Büchern vorlas oder als Ensemble-Mitglied der Too Late Show. In seinem Programm «Am Apparat» stehen ihm nun keine Menschen aus Fleisch und Blut, sondern ein alter schwarzer Telefonapparat und ein Diaprojektor zur Seite. Beides seien Reminiszenzen an seine Kindheit. Zum einen an die furchtbar langweiligen Dia-Vorführ-Abende, die seine Eltern veranstaltet hätten, zum anderen an Emil, der als Vorbild für Kämpfs Bühnen-Telefonate steht. «Bei mir rufen die unterschiedlichsten Leute an», sagt Kämpf. «Mal bin ich ein Altersheim, dann die Rezeption eines Hunde-Hotels, und manchmal klingelt das Telefon und ich bin selber dran.»
Ausserdem droht Kämpf in seinem Programm auch zu singen und dies obwohl stadtbekannt ist, dass besser Reissaus genommen wird, wenn der wackere Komödiant zu Gesang ansetzt. Das sei die Schattenseite seines Programmes, da müsse man halt einfach durch, sagt Kämpf. «Aber ich singe ja auch nur ansatzweise und versuche selten in Richtung richtige Töne zu gehen.»
Matto Kämpf im Interview mit RaBe:
«Am Apparat» Donnerstag 8. und Freitag 9. Oktober 2020 im Tojo Theater, Bern