Bosnien-Herzegowina hat eines der kompliziertesten, politischen Systeme der Welt. Auf allen wichtigen Posten, in allen wichtigen Funktionen sind die drei grossen Volksgruppen – die muslimischen Bosnier*innen, die bosnischen Serben und die bosnischen Kroatinnen – gleichwertig an der Macht beteiligt.
Ins Leben gerufen hat dieses komplexe System die internationale Gemeinschaft. Ziel war zu verhindern, dass es jemals wieder einen so verheerenden Krieg gibt wie anfangs der 90er Jahre. Damals hatte das Land über 100 000 Tote zu beklagen.
Die Idee war wohl gut, nur bewirkt dieses komplexe, föderale System zumindest auf nationaler Ebene genau das Gegenteil. Aktuell schwingen die 3 grossen, ethnischen Parteien wieder die nationalistische Flagge, um ihre Wähler*innen bei der Stange zu halten. Punkten könne man in Bosnien vor allem mit Wahlversprechen, welche auf die entsprechende ethnische Gruppe zugeschnitten sind, sagt Adis Merdzanovic, Politikwissenschaftler ZHAW mit Spezialgebiet Bosnien. Zudem sorge der Staat in Bosnien für rund 60% der Stellen im Land und diese würden von den jeweiligen Machthaber*innen jeweils an ihre Anhänger*innen verteilt, was grosse Abhängigkeiten mit sich bringe.
Als grösster nationalistischer Zündler gilt derzeit der bosnische Serbenführer Milorad Dodik. Dodik weibelt schon länger für die Abspaltung die Republika Srpska vom Staat Bosnien-Herzegowina. Er ist Mitglied im 3-köpfigen Staatspräsidium und kandidiert aktuell wieder für das Präsidium der serbischen Republik. Vor ein paar Monaten habe er erstmals ein legislatives Projekt durchgebracht, welches Kompetenzen von der Landesebene auf die Ebene der serbischen Republik verlagern soll und hat die Polizeikräfte in der Republika Srpska aufgerüstet. Das Gesetzesprojekt liegt derzeit auf Eis.
Expert*innen bezeichnen das politische System Bosniens als völlig dysfunktional. Auf nationaler Ebene sorge es für eine totale Reformblockade, weil die 3 ethnischen Regierungsvertreter sich alle 8 Monate in der Funktion des Staatspräsidenten abwechseln und allfällige Reformprojekte der anderen Regierungsvertreter jeweils mit ihrem Vetorecht blockieren. Gleichzeitig sind die Regionen sehr stark und die Landesregierung sehr schwach.
Dem stimmt auch Adis Merdzanovic zu. Gleichzeitig betont er jedoch, dass das System auf regionaler Eben durchaus seine Vorteile habe. Wenn über konkrete Projekte, wie zum Beispiel den Bau neuer Strassen, Stromleitungen oder andere Vorhaben diskutiert werde, helfe es durchaus, wenn die ethnischen Differenzen beiseite gelassen werden könnten. Zumindest die lokalen Politiker*innen würden in der Regel auch vor allem aufgrund ihrer politischen Errungenschaften wiedergewählt, und nicht aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit.
Auf nationaler Ebene hingegen sieht auch Merdzanovic dringend Reformbedarf. Weil die bosnische Verfassung Teil des Friedensabkommens von Dayton sei, erachtet er dies indes als schwierig. Es habe schon zahlreiche Reformversuche gegeben, aber – wie bei der Debatte um die Abschaffung des Ständemehrs in der Schweiz – sei es auch in Bosnien schwierig, einen Konsens zu finden, dem alle Bevölkerungsgruppen zustimmen könnten.
Von den Wahlen vom Sonntag erwartet Merdzanovic keine wesentlichen Veränderungen. Die nationalistischen Machtblöcke werden sich seiner Ansicht nach halten können. Zum Vorteil des Landes sei dies nicht, weil sie die bisherige Politik weiterführen würden, in Folge derer immer mehr Bosnier*innen das Land verlassen und ihr Glück in Europa versuchen. «Wer an der Urne nichts bewirken kann, stimmt mit den Füssen ab und verlasse das Land», so Merdzanovic.