Heute vor genau 20 Jahren wurde eine Abstimmungsvorlage von der Stimmbevölkerung mit einer seltenen Deutlichkeit angenommen: Über 72 % sagten Ja zur sogenannten Fristenregelung, seither ist Abtreibung in der Schweiz bis in die 12. Schwangerschaftswoche erlaubt.
Der Weg zu diesem deutlichen Resultat war ein beschwerlicher – jahrzehntelang wurde für das Recht gekämpft, über den eigenen Körper bestimmen zu können. Bereits 1977 gab es eine Abstimmung zur Fristenlösung, diese scheiterte jedoch knapp, womöglich auch weil der Bundesrat die Vorlage zur Ablehnung empfahl.
In den 90er-Jahren wurde «das heisse Eisen Abtreibung» dann wieder aufgegriffen. Die Zürcher SP-Nationalrätin Barbara Haering brachte eine parlamentarische Initiative erfolgreich durch die grosse Kammer, gegen den Widerstand von Rechtsparteien, der geschlossenen CVP und Teile der FDP und SVP. Somit wurde der Bundesrat beauftragt, ein neues Gesetz auszuarbeiten. «Eine Person konnte auch damals einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen lassen, sie musste jedoch gut informiert sein, welches Spital Abtreibungen anbietet», beschreibt Barbara Berger von Sexuelle Gesundheit Schweiz die Kluft, die es damals gab zwischen Gesetz und Praxis. Wenn Ärzt*innen eine Notlage bescheinigten, waren Abtreibungen schon damals möglich – für ungewollt Schwangere in konservativeren Landesteilen bedeutete dies jedoch unter Umständen eine Reise in einen anderen Kanton.
Die Gesetzesvorlage, die der Bundesrat dann dem Parlament unterbreitete wurde mit den bekannten Argumenten diskutiert. «Abtreibung ist Mord!» schallte es von konservativer Seite. Als Kompromiss schlug die CVP das sogenannte Schutzmodell vor, welche eine staatliche Beratungspflicht für ungewollt Schwangere vorsah. Nach zähem Ringen gab am 7. Dezember 2000 nach dem Ständerat auch der Nationalrat grünes Licht für die Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs. Und das ganze ohne staatliche Beratungspflicht. Wegen eines Referendums musste die Vorlage dann noch vom Stimmvolk gutgeheissen werden.
Der Entscheid zur Fristenregelung 2002 führte nicht zu mehr Abtreibungen. «Abtreibungen gibt es in jedem Fall», betont Barbara Berger. Ganz egal ob Schwangere legalen Zugang haben oder nicht. Ein niederschwelliger Zugang führe jedoch zu besserer medizinischer Betreuung, weniger Stigmatisierung, tieferer psychischer Belastung und selteneren Folgeschäden. Viele Mythen würden sich um Schwangerschaftsabbrüche ranken, welche die Statistiken klar widerlegen: So haben junge Frauen eine extrem niedrige Abbruchrate, hingegen gäbe es oft Abbrüche von Frauen, die bereits Kinder haben. Selten sei es ein leichtfertiger Umgang mit dem Thema Verhütung gewesen, der zu einer ungewollten Schwangerschaft führte. «Niemand beendet eine Schwangerschaft leichtfertig. Das ist wirklich ein Mythos, der nicht der Wahrheit entspricht», so Berger.
Auch jetzt, 20 Jahre nach der Abstimmung zur Fristenregelung, ist eine Abtreibung eine strafrechtliche Angelegenheit: Die Straffreiheit ist im Artikel 119 des Strafgesetzbuches geregelt. Eine heute eingereichte parlamentarische Initiative der grünen Nationalrätin Léonore Porchet sieht vor, dass die Fristenregelung aus dem Strafrecht gestrichen und ein eigenes Gesundheitsgesetz für den Schwangerschaftsabbruch geschaffen wird.
Sexuelle Gesundheit Schweiz ist die Dachorganisation der über 80 Fachstellen für sexuelle Gesundheit in der ganzen Schweiz. Diese bieten psychosoziale Beratung an für Personen, die eine Schwangerschaft abbrechen möchten.