In den 90er-Jahren waren Drogensüchtige in der Stadt Bern kaum zu übersehen: Im Kocherpark gab es eine offene Drogenszene und Menschen, die sich in aller Öffentlichkeit einen Schuss setzten, waren allgegenwärtig. Heute sind Junkys praktisch aus dem Stadtbild verschwunden. Aber es gibt sie noch. Mit ihrem Buch «Druffä» rücken Schriftsteller Roland Reichen und Fotograf Jonathan Liechti das Leben und persönliche Schicksal eines Rauschsüchtigen ins Zentrum. Dabei handelt es sich um Roland Reichens älterer Bruder Peter genannt Pit, der seit 25 Jahren auf harten Drogen ist. In Bild und Wort illustriert «Druffä» den Alltag eines Menschen, dessen Leben von Rausch, «Aff», «mischeln», Beschaffungsstress, Sozialamt und Besuch beim KODA geprägt ist.
Die Gebrüder Reichen und Jonathan Liechti im Interview mit RaBe:
Liechtis ausdrucksstarke Bilder sind mal Detailaufnahmen, mal Porträt, Stilbild oder Streetphotopgraphy, wobei dem Fotografen das Kunststück gelingt, intimen Einblick in ein Lebens zu gewähren, ohne dabei voyeuristisch oder wertend zu sein. Wir sehen Pit mit glasigen Augen in der sterilen Abgabestelle eine Spritze aufziehen, wir sehen das Durcheinander in seinem Zimmer in der betreuten WG und wir sehen ihn am Bahnhof beim Münzschnorren. Wir sehen Pit aber auch beim Besuch seiner Eltern oder am Grab seiner Freundin, beim Einkaufen mit der Mama, beim Essen mit seinem Bruder, beim Schläfchen auf dem Familiensofa oder beim Minigolf.
Die Stationen, welche Jonathan Liechti in seinen Bildern zeigt, werden auch in den Texten von Roland Reichen aufgenommen. In 18 kurzen Episoden nimmt uns Reichen mit in die Anfänge der Drogensucht seines Bruders, ins Jahr 1992, als Pit verliebt war in ein Mädchen, das Heroin schnupfte und es darum selber probieren wollte. In Kapiteln wie « Der Aff» oder «Vom Seich, beim Soz zu sein» schildert Reichen aus Pits Perspektive das raue Leben auf der Gasse, wo sich jeder oftmals selber der nächste ist, weil das Bedürfnis nach Betäubung einfach zu gross ist. So verkauft Pit etwa postwenden den Trainingsanzug, den er zuvor von der Mama zum Geburtstag geschenkt bekommen hat, für ein bisschen Kokain an der Hodlerstrasse. Im Nachhinein sei er sich natürlich «greuig» gewesen, habe der Mutter die Tat gestanden und ihr den Trainer von seinem Sozgeld abgestottert.
Pits Episoden werden in einfacher, stark mundartgeprägter Sprache wiedergegeben, wie sie zum Markenzeichen des Roland Reichen geworden ist. Dadurch wird einerseits Authentizität erzeugt, zum anderen schafft die Lakonie der simplen Ausdrucksweise manchmal eine gewisse Komik, die in wohltuenden Kontrast zum geschilderten Inhalt steht.
Es ist ein starkes Buch, das Roland Reichen und Jonathan Liechtig mit «Druffä» herausgegeben haben. Reichens Texte und Liechtis Bilder sind respektvolle Sozialstudie einer stigmatisierten Gruppierung unserer Gesellschaft und rücken ins Zentrum, was sonst oft vergessen geht: «Druffnige» sind mehr als nur ihre Sucht. Es sind Menschen mit Träumen, Hoffnungen, Gefühlen und Familienangehörigen.
«Druffä» Buchtaufe, 17. Oktober 2019, 19 Uhr, Dreigänger