Heute im RaBe-Info berichten wir über die historische Abstimmung in Moutier und den Kampf von Libera Terra gegen die italienische Mafia.
Den Podcast gibt es hier ab Mittag.
Ade Moutier!
Ein Meer aus Jura-Fahnen schmückte gestern den Bahnhofsplatz in Moutier. Nach stundenlangem Warten brach um 18 Uhr der Jubel aus, mit Gesängen, Fackeln, Böllern und Umarmungen, als gäbe es kein Corona, als klar wurde: Die Gemeinde verabschiedet sich definitiv vom Kanton Bern und wechselt in den Kanton Jura.
Damit ging ein langer und emotionaler Kampf zu Ende. Wie schon bei der ersten Abstimmung von 2017 lag die Stimmbeteiligung bei rekordhohen 88%. Das Resultat fiel allerdings etwas deutlicher aus. 55% stimmten für den Wechsel zum Kanton Jura. Valentin Zuber, überzeugter Separatist und Chef der Jura-Delegation von Moutier hatte gestern alle Hände voll zu tun, die Leute daran zu erinnern, dass der Siegestaumel coronabedingt etwas Zurückhaltung bedarf. Trotzdem zeigte sich Zuber nach der Abstimmung sehr erfreut über das deutliche Resultat.
Die zweite Abstimmung in Moutier wurde unter in der Schweizer Geschichte bisher einmaligen Sicherheitsvorkehrungen durchgeführt, bis ins letzte Detail begleitet, kontrolliert und überwacht vom Bundesamt für Justiz. Auch das BJ zog gestern ein positives Fazit. Es war mit einem Grossaufgebot vor Ort, 18 Wahlbeobachter*innen haben die Stimmausweise kontrolliert, die Auszählung überwacht und jede Entscheidung des Stimmbüros überprüft.
Sehr gedämpft war hingegen die Stimmung an der Pressekonferenz des Berner Regierungsrates. Der Kanton Bern bedauere den Entscheid von Moutier, aber er akzeptiere ihn, weil Moutier selber über seine Zukunft bestimmen müsse, sagte Regierungsrat Pierre Alain Schnegg. Gleichzeitig betonte Schnegg, in der Mehrheit zu sein bedeute nicht, alles tun zu können was man wolle. Es bedeute vielmehr eine grosse Verantwortung gegenüber der Minderheit. Der zweisprachige Kanton Bern kenne diese Herausforderung gut. Das geteilte Städtchen wieder zu einen, wird keine leichte Aufgabe. Die Stimmung zu entgiften, hat jetzt Priorität. Das dürfen nun vor allem die Sieger*innen nicht vergessen. Projurassier Valentin Zuber betonte, es brauche nun positive Signale, dass auch den Proberner*innen im neuen Kanton Platz eingeräumt werde.
Gibt es keine Beschwerden und ist das Abstimmungsresultat rechtsgültig, beginnen die konkreten Gespräche zum Kantonswechsel. Dann müssen beide Kantone dem interkantonalen Konkordat zustimmen und die Bundesversammlung muss den neuen Verlauf der Kantonsgrenzen genehmigen. Im Vergleich zum emotionalen Hürdenlauf in Moutier, wird das aber wohl eher eine pro forma-Übung.
Kampf gegen die italienische Mafia
Remigio Funiciello wuchs nahe Neapel in einfachen Verhältnissen auf. Im Alter von 12 Jahren musste er die Schule verlassen, um auf einer Baustelle Geld für die Familie zu verdienen. Mit 16 Jahren schickte ihn der Vater in die Schweiz. Einer seiner Brüder hatte ihm in Thun einen Job als Tellerwäscher organisiert. Das war vor einem halben Jahrhundert. Mittlerweile ist Remigio Funiciello pensioniert und engagiert sich im Berner Breitschträff.
So oder ähnlich ging es damals tausenden jungen Italiener*innen. Auf der Suche nach Arbeit verliessen sie ihre Heimat, viele landeten in der benachbarten Schweiz. Die wirtschaftliche Situation in Süditalien war und ist auch heute noch prekär. Viele Existenzen sind durch die Corona- Pandemie stark gefährdet. Eine Arbeitgeberin biete laut Funiciello aber immer Arbeit und somit eine Lebensgrundlage: Die Mafia. Im Süden Italiens sei jeder Mensch indirekt oder direkt von der Mafia betroffen, sagt Remigio Funiciello. An ihr gebe es keinen Weg vorbei.
Die Wirtschaft hat sich verändert und mit ihr auch die Mafia. Sie funktioniert mittlerweile wie ein weltweit agierendes Wirtschaftsunternehmen, mischt auf europäischen Grossbaustellen mit oder fälscht Lebensmittel «made in italy». Doch die Mafia hat nicht nur die italienische Wirtschaft unterwandert. Laut Remigio Funiciello habe sie den Einwohner*innen besonders in Süditalien das Vertrauen genommen. Es gehe so weit, dass die Menschen sogar an ihren Verwandten zweifelten. Er wisse nicht, was sein Bruder in Italien sei: Ein guter Mensch oder Mitglied der Camorra?
Die Organisation Libera Terra versucht, den Menschen dieses Vertrauen wiederzugeben. Sie besteht aus vielen verschiedenen landwirtschaftlichen Kooperativen. Auf ehemaligen von der Mafia geraubten oder anderweitig durch Korruption erlangten Ländereien wird biologische Landwirtschaft betrieben. Das Land wurde der Mafia durch den Staat entzogen und dieser macht es Libera Terra möglich, den meist verwaisten Höfen und Äckern neues Leben einzuhauchen.
Die gemeinnützige Organisation stellt vorwiegend benachteiligte Menschen ein. Ob Arbeitslose, körperlich Beeinträchtigte, Geflüchtete oder Mafia-AussteigerInnen: Libera Terra gibt ihnen ein geregeltes und faires Einkommen, behandelt sie gut und gibt ihnen eine Sozialversicherung. All dies kann ihnen die Mafia nicht bieten.
Funiciello ist es mittlerweile Leid, Geld zu spenden. Sehe er aber, dass ein Projekt seriös und gut arbeite, mache er mit aller Kraft mit. Deshalb vertreibt Funiciello Wein, Pasta und Gemüse von Libera Terra im Berner «Breitschträff».