Gemäss Angaben der Vereinten Nationen UNO sind seit Beginn des russischen Angriffskriegs über eine halbe Million Menschen aus der Ukraine geflüchtet, sehr viele in die Nachbarländer. In Ungarn befinden sich mittlerweile weit über 90 000 Geflüchtete.
Aktuell kämen rund um die Uhr Flüchtlinge zu Fuss oder mit dem Auto über die Grenze und bereits jetzt gäbe es sehr lange Wartezeiten, sagt Anikó Bakonyi vom ungarischen Helsinki Komitee.
Erfreut zeigt sich das Helsinki Komitee über die grosse Solidarität seitens der ungarischen Bevölkerung und der vielen freiwilligen Helfer*innen, welche Essen, Übernachtungen und Transport für die Geflüchteten organisieren. Gleichzeitig kritisiert das Komitee, die Behörden nähmen ihre Aufgabe erst ungenügend wahr, all die Aktivitäten zu ordnen und zu koordinieren.
Erfreulich sei, dass die ungarische Regierung Flüchtlingen aus der Ukraine sehr schnell und unkompliziert temporären Schutz gewähre. Auch hier fehle es jedoch an Organisation und Koordination, so dass die Menschen dann tatsächlich auch Zugang haben zur staatlichen Unterstützung.
Der temporäre Schutz unterscheidet sich stark vom regulären Asylverfahren, weil er kein individualisiertes Verfahren beinhaltet. Wenn die Geflüchteten zeigen, dass sie aus der Ukraine kommen und vom Krieg flüchten mussten, erhalten sie Zugang zu Essen, Unterkunft und medizinischer Versorgung, und die Kinder können zur Schule gehen.
Eine der wichtigen Fragen sei derzeit, was mit denjenigen Flüchtlingen passiert, die zur ungarischen Minderheit in der Ukraine gehören und einen ungarischen Pass besitzen. Die Regierung sei in den letzten Jahren niemals müde geworden zu betonen, dass sie alle ungarischen Bürger*innen schützt, speziell auch die ungarischen Minderheiten in den Nachbarländern. Nun aber können ebendiese Menschen keinen temporären Schutz beantragen. Sprich, sie haben zwar Zugang zur medizinischen Versorgung und den Schulen, bräuchten jedoch sehr viel mehr Unterstützung, weil ihr Zuhause und ihren Lebensmittelpunkt bisher in der Ukraine war.
Die Offenheit der rechtspopulistischen Fidesz-Regierung und von Ministerpräsident Victor Orbán mag erstaunen, angesichts der Tatsache, dass diese bisher keine Gelegenheit ausliessen, um gegen Geflüchtete zu hetzen und insbesondere mit illegalen Pushbacks an der Südgrenze für Schlagzeilen sorgten.
Mit dem Krieg in der Ukraine verschwand die Flüchtlingsproblematik an der ungarisch-serbischen Grenze komplett aus den Medien, während es zuvor laufend Berichte über illegale Pushbacks von Geflüchteten aus Syrien, Afghanistan und anderen Ländern gab.
Gemäss Anikó Bakonyi hat sich an der Situation an der serbisch-ungarischen Grenze seit dem Krieg indes nichts verändert. Die nicht-ukrainischen Geflüchteten hätten nach wie vor keinen Zugang zum ungarischen Asylsystem.
Die Regierung habe das System so geändert, dass Asylsuchende zuerst entweder in der ungarischen Botschaft in Kiew oder in Belgrad eine Absichtserklärung einreichen müssen. Nur falls die Behörden die Einreise überhaupt erlaubten, könnten sie in Ungarn ein Asylgesuch stellen.
Gemäss Anikó Bakonyi konnten 2021 gerade mal 8 Geflüchtete einreisen und in Ungarn ein Asylgesuch stellen, während es an der serbisch-ungarischen Grenze über 70 000 Pushbacks gab.