Im Vorfeld der kantonalen Abstimmungen vom 12. März 2023 blicken alle Augen auf die umstrittenen Verkehrsvorlagen für Oberburg und Aarwangen. Kaum Interesse finden hingegen die geplanten Änderungen der Kantonsverfassung. Das Kantonsparlament hat sie auch einstimmig und ohne Enthaltungen abgesegnet.
Trotzdem lohnt sich ein Blick auf die Vorlagen, denn bei beiden geht es um nichts weniger als das zentralste Grundprinzip unserer Demokratie, um die Gewaltenteilung. Diese sichert die Begrenzung der staatlichen Macht, sowie die gegenseitige Kontrolle zwischen dem Parlament, welches Gesetze beschliesst, von Regierung und Behörden, welche sie ausführen und dem Gericht als Organ der Rechtsprechung.
Die erste Vorlage «Stellung und Kompetenzen der Justizbehörden» will die Gewaltenteilung stärken, indem die Unabhängigkeit der Bernischen Justizbehörden auf Verfassungsstufe abgebildet und präzisiert wird.
Sie soll die Neuerungen, welche im Rahmen der Justizreform von 2011 im Gesetz verankert wurden, nun zusätzlich in der Verfassung festschreiben.
Damals wurde im Kanton Bern die so genannte Selbstverwaltung der Justiz eingeführt. Seither verfügt die Justiz über ihr eigenes Budget und nimmt auch wichtige Verwaltungsaufgaben in den Bereichen Personal, Finanzen oder Informatik in Eigenregie wahr. Kopf dieser Selbstverwaltung ist die so genannte Justizverwaltungsleitung, bestehend aus den Präsident*innen von Obergericht und Verwaltungsgericht, sowie der Generalstaatsanwaltschaft.
In der Schlussabstimmung hat das Parlament die Vorlage ohne Gegenstimmen und Enthaltungen abgesegnet. Trotzdem gab es während der Debatten einzelne, umstrittene Punkte, unter anderem die Zusammensetzung der Justizverwaltungsleitung. Grossrät*innen von GLP und EVP wehrten sich dagegen, deren Zusammensetzung in der Verfassung zu verankern. Grund war die Skepsis, dass nebst Obergericht und Verwaltungsgericht auch die Staatsanwaltschaft in der Justizverwaltungsleitung Einsitz hat.
In Justizkreisen ist tatsächlich umstritten, ob die Staatsanwaltschaft wirklich zum Gericht gehört, oder als verlängerter Arm von Regierung und Gesetzgeber nicht vielmehr selber Prozesspartei ist, und somit im engen Sinne keine unabhängige Gesetzeshüterin.
Andererseits hat eine Evaluation ergeben, dass sich die enge Zusammenarbeit der 3 Gremien angeblich sehr bewährt hat. Und auf Gesetzesebene ist es ja sowieso schon beschlossene Sache, nur wird es nun zusätzlich in der Verfassung verankert.
Im Unterschied zur Justiz-Vorlage rüttelt die zweite Vorlage «Unvereinbarkeitsregeln Mitglieder Grosser Rat» ein wenig an der Gewaltenteilung. Das Kantonsparlament möchte in der Kantonsverfassung den Grundsatz verankern, dass in noch zu präzisierenden Ausnahmefällen Kantonsangestellte gleichzeitig im Parlament sitzen dürften, womit sie gleichzeitig Gesetze beschliessen und ausführen könnten.
Auch diese Vorlage hat das Parlament in der Schlussabstimmung einstimmig gutgeheissen. Zu den wichtigsten Argumenten gehörten, dass der Kanton Bern im interkantonalen Vergleich aktuell sehr strenge Bestimmungen kennt, und dass gemäss geltendem Recht bereits heute Ausnahmen möglich sind.
Deshalb will das Parlament nun die verfassungsrechtliche Grundlage für allfällige Ausnahmen schaffen. Sämtliche Details bezüglich Personengruppen, Anstellung und Bedingungen würden indes erst später in einem Gesetz geregelt.
Eine Minderheit im Parlament kritisierte, Ausnahmen egal welcher Art würden den Grundsatz der Gewaltenteilung gefährden. Dennoch stimmten in der Schlussabstimmung schliesslich alle dafür, weil der Grundsatz per se bestehen bleibt und die Details im Rahmen des Gesetzgebungsprozesses immer noch diskutiert werden können. Zudem wäre es möglich, das Referendum zu ergreifen.
Weiter argumentierten die Befürwortenden, dass Kantonsangestellte wie Uniprofessorinnen oder Lehrer, welche bereits heute im Grossen Rat sitzen dürfen, nicht per se unabhängiger seien als zum Beispiel Polizist*innen.