Die Ampel steht: Gestern wurde Olaf Scholz als neuer deutscher Bundeskanzler vereidigt. Mit ihm trat auch ein neues Kabinett an, 16 Ministerien sind von Vertreter*innen von SPD, Grünen und FDP übernommen worden.
Tags zuvor unterzeichneten die Parteispitzen den Koalitionsvertrag mit dem Titel «Mehr Fortschritt wagen». Angesichts der linken Bündnispartner könnte man einen sozialen Fortschritt erwarten. Doch Christoph Butterwegge widerspricht. Der Politikwissenschaftler lehrt und forscht an der Uni Köln zu Armut und Ungleichheit. Mit Blick auf den Koalitionsvertrag erklärt er: «Dieser Fortschritt, so scheint es mir, wird weniger ein sozialer und viel mehr ein technologischer sein». Ganze 226 Mal komme das Stichwort «Digitalisierung/digital» im 177-seitigen Vertrag vor, «Armut» hingegen nur 17 Mal, «Reichtum» sogar nur einmal.
Der Politikwissenschaftler plädiert dafür, nicht auf Digitalisierung zu setzen, sondern mehr Geld für Sozialpolitik in die Hand zu nehmen. Denn die Armut sei in Deutschland in den letzten Jahren und Jahrzehnten gestiegen und reiche zum Teil bis in die Mitte der Gesellschaft. Die Ampelkoalition plane zwar den Mindestlohn auf 12 Euro zu erhöhen, ganze 10 Millionen Menschen könnten davon profitieren. Wann dieser Schritt gemacht werde, gehe jedoch nicht aus dem Koalitionsvertrag hervor. Zudem halte weder die geplante Erhöhung des Mindestlohnes noch das Arbeitslosengeld Schritt mit der Teuerung.
Innerhalb der Koalition gebe es grosse Widersprüche. So weigere sich die FDP die Steuern für Reiche zu erhöhen. «Das heisst, es wird – zumindest in der Form – keinen sozialen Ausgleich und somit auch nicht weniger Ungleichheit geben», so Butterwegge. Denn dazu müsste nicht nur die Armut bekämpft, sondern gleichzeitig auch der Reichtum begrenzt werden. «Ich bin mir nicht sicher, ob diese Koalition am Ende das Etikett verdient haben wird, sozialer gewesen zu sein, als die grosse Koalition von CDU/CSU und SPD, die in den vergangenen Jahren regiert hat», bilanziert der Armutsforscher.
Vor wenigen Wochen veröffentlichte Christoph Butterwegge zusammen mit Carolin Butterwegge das Buch Kinder der Ungleichheit – Wie sich die Gesellschaft ihrer Zukunft beraubt.