Wer in der Schweiz an eine Unfallstelle gelangt und verletzte Menschen sieht, wählt die Nummer 144 – die Nummer der Ambulanz. Meistens dauert es nicht lange, bis eines der gelb-roten Fahrzeuge angebraust kommt und die Verletzten ins Spital bringt. In Mexico City läuft alles ein bisschen anders. Für die rund 9 Millionen Einwohner*innen der Stadt stehen gerade mal 45 staatliche Ambulanzfahrzeuge sind im Einsatz. In die Bresche springen Private, so wie die Familie Ochoa.
Der US-amerikanische Filmemacher Luke Lorentzen hat die Ochoas drei Jahre lang mit seiner Kamera begleitet. Sein Dokumentarfilm Midnight Family zeigt, wie Vater Ochoa und seine beiden Söhnen Nacht für Nacht mit ihrem Ambulanzwagen die Strassen Mexico Citys abfahren. Sie hören den Polizeifunk ab, sobald irgendwo ein Unfall gemeldet wird, geht das grosse Rennen los, denn die Ochoas sind nicht die einzigen, die eine private Ambulanz betreiben.
Lorentzen ist mit seiner Kamera hautnah am Geschehen dabei und beschönigt nichts. Wir sehen den Ochoas dabei zu, wie sie zu Unfallstellen rasen und quasi um Patienten kämpfen. Wir sehen ihnen dabei zu, wie sie Schwerverletzte ins Spital transportieren, wo sie manchmal trotz rasanter Fahrt zu spät ankommen.
«Midnight Family» ist ein intimer und beklemmender Film. Dies, weil die Ochoas einem zwar sympathisch sind, ihr Tun aber moralisch fragwürdig ist. Klar doch: Die Konkurrenz ist gross und ausserdem müssen korrupte Polizeibeamte bezahlt und bestochen werden. Das Familienunternehmen muss also auf Unfälle hoffen, um das eigene Überleben zu sichern. Dabei können die Ochoas nie sicher sein, ob ihr Einsatz denn auch wirklich bezahlt wird. Viele ihrer Patienten haben kein Geld, oder wollen keins haben.
«Midnight Family» ist einer derjenigen Dokumentarfilme, die deutlich machen, dass kein Spielfilm so spannend sein kann wie die Realität – ein filmisch bestechender Höllenritt in fiebrigen Bildern durch die Strassen Mexico Citys.
«Midnight Family», Kellerkino Bern, 9. – 15. Januar 2020, jeweils 20:30 Uhr