Vielen dürfte ihr Name gänzlich unbekannt sein und in ihrer Heimatstadt Bern ist ihr gerade mal eine kleine Seitenstrasse in der Länggasse gewidmet – die Gertrud-Woker-Strasse. Dabei war Gertrud Woker eine aussergewöhnliche Frau, die zu Lebzeiten Aussergewöhnliches leistete.
1878 geboren, studierte Woker ab 1900 Organische Chemie an den Universitäten Bern und Berlin, doktorierte, wurde zur ersten Privatdozentin für Chemie an einer Schweizer Hochschule, leitete ab 1911 in Bern das Institut für physikalisch-chemische Biologie und hielt 20 Jahre lang eine Professur inne. Gertrud Woker war aber nicht einfach nur eine geniale Wissenschaftlerin und Wegbereiterin der Biochemie, sondern auch Frauenrechtlerin und hartnäckige Friedensaktivistin. Sie gehörte zu den Mitbegründerinnen der späteren «Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit» und hielt in den 1950er-Jahre eine Rede beim Völkerbund, dem Vorläufer der UNO, in der sie sich dezidierte gegen den Einsatz von Giftgas aussprach.
Gertrud Woker war eine blitzgescheite und engagierte Frau, deren Lebensgeschichte eine aussergewöhnliche ist. Und doch geriet sie in Vergessenheit. Das dürfte zum einen damit zusammenhängen, dass Geschichte lange Zeit von Männern über Männer für Männer geschrieben worden ist. Zum anderen war Gertrud Woker mit ihrem Starrsinn und der Hartnäckigkeit, mit der sie sich gegen Krieg aussprach, ein Dorn im Auge derjenigen, welche vom Krieg finanziell profitierten. Während die Schriften der Gertrud Woker international Beachtung fanden, wurde sie in der Schweiz als Wahnsinnige verschrien, als «Gas-Trudi» bezeichnet und im Alter von 88 Jahren in eine Nervenheilanstalt verfrachtet, wo sie 1968 sterben sollte.
Er sei vor rund vier Jahren bei der Recherche zu einem Theaterstück auf die Biografie Gertrud Wokers gestossen und erstaunt darüber gewesen, wie wenig Material es zu dieser aussergewöhnlichen Frauenbiografie gebe, sagt Fabian Chiquet. 2017 widmete der Musiker, Kunstschaffende und Regisseur Gertrud Woker eine Videoinstallation auf der Warmbächli-Brache (wir haben hier darüber berichtet). Nun hat Chiquet in Zusammenarbeit mit Matthias Affolter den Dokumentarfilm «Die Pazifistin» herausgegeben. Weil sie einen Film über eine Person gedreht hätten, über die es kein Video-Material gebe, hätten sie sich eine kreative Lösung einfallen lassen müssen, erzählt Chiquet. Entsprechend ist «Die Pazifistin» ein kaleidoskopartiges Konglomerat aus Animationen, Radioaufnahmen, Videocollagen und Interviews mit Familienangehörigen und Historikerinnen geworden. «Wie wenn man ein Mosaik zusammensetzt», beschreibt Chiquet die Arbeit am Film. Dabei ist «Die Pazifistin» ein wunderbar schillerndes Mosaik, welches das Leben einer nicht minder schillernder Frauenfigur einfängt, die zu Unrecht in Vergessenheit geraten ist.
«Die Pazifistin» kann im Rahmen der Solothurner Filmtage vom 24. – 27. Januar 2021 online geschaut werden. Am 25.1. beantworten Fabian Chiquet und Matthias Affolter um 13 Uhr Fragen im Live-Chat.