Am 27. September steht der Stimmbevölkerung ein Abstimmungssonntag der Superlative bevor! Die Schweiz entscheidet gleich über fünf grosse und teilweise stark umstrittene Vorlagen: Den Kauf neuer Kampfflugzeuge, Die Begrenzungsinitiative, die Erhöhung der Kinderabzüge, die Modernisierung des Jagdgesetzes und den zweiwöchigen Vaterschaftsurlaub. Laut ersten Umfragen zeichnet sich bei einigen Vorlagen ein spannendes Kopf-an-Kopf-Rennen ab. Spannend bleibt auch die Frage, ob die Corona-Krise einen Einfluss auf das Abstimmungsresultat haben könnte. Wie vor jeder nationalen Abstimmung informiert RaBe auch dieses Mal ausführlich über die anstehenden Vorlagen, so dass sich jede*r eine eigene Meinung bilden kann.
Anmerkung: Auf kantonaler Ebene stehen am 27. September keine Vorlagen zur Abstimmung.
Abstimmung: Parteienfinanzierung (städtisch)
Am Sonntag, 27. September entscheiden die Berner*innen über die Vorlage zur Transparenz in der Parteienfinanzierung. Dabei steht die Frage im Zentrum, ob Stadtberner Parteien ihre Wahl- und Abstimmungskampfbudgets neu nach einheitlichen Regeln offenlegen müssen, oder dies weiterhin freiwillig nach eigenem Gutdünken tun können.
Geht es nach der Transparenzvorlage, sollen Spenden ab 5000 Franken jährlich künftig nicht mehr anonym gemacht werden können, sprich: Die Parteien müssten die Namen publik machen. Mittlere Spenden zwischen 1000 und 5000 Franken müssen ebenfalls einzeln ausgewiesen werden, ohne aber dass Namen genannt werden müssen.
Die Mehrheit des Stadtparlaments stimmt der Vorlage der Berner Stadtregierung zu, dagegen sind SVP und FDP. FDP-Berner Stadtrat Bernhard Eicher begründet, die FDP sei nicht grundsätzlich gegen Transparenz. Die Vorlage führe jedoch zu einem enormen bürokratischen Mehraufwand für die Parteien, ohne wirklich Transparenz zu schaffen. Sie habe zu viele Schwächen und Schlupflöcher. So könnten zum Beispiel Spenden an Parteien, die man neu offenlegen müsste, künftig ganz einfach als Mandate oder Mitgliederbeiträge getarnt werden. Eicher plädiert deshalb dafür, den Parteien weiterhin die Freiheit zu lassen, ihre Budgets so zu veröffentlichen, wie sie es für richtig halten.
Ursina Anderegg, Stadträtin der GB/JA-Fraktion hingegen spricht von einer ausgewogenen, verhältnismässigen Vorlage. Sie betont, dass es klare Kriterien zur Offenlegung brauche, so dass die Stimmbevölkerung eine einheitliche Vergleichsgrundlage habe. Mehr Transparenz stärke die Meinungsbildung und die Demokratie.
Bernhard Eicher hat sein Wahlkampfbudget für die Gemeinderatswahlen 2020 bereits im Sommer als Erster offengelegt. Er habe jedoch bewusst darauf verzichtet, einzelne Namen zu nennen, weil niemand mehr als 20% seines Budgets finanziere und somit auch niemand einen wesentlichen Einfluss auf seinen Wahlkampf habe. Ursina Anderegg sieht wenig Sinn darin, die Veröffentlichungslimite anhand von Prozenten festzulegen, weil dies dazu führe, dass bei höheren Budgets die Namen viel später veröffentlicht werden müssten. Das Grüne Bündnis und die Junge Alternative JA haben ihr Wahlkampfbudget inzwischen ebenfalls offengelegt, die SP wird bald nachziehen.
Abstimmungsfrage: Wollen Sie die Vorlage «Offenlegung der Finanzierung von politischen Parteien und Kampagnen: Teilrevision des Reglements über die politischen Rechte» annehmen?
Der Stadtrat empfiehlt den Stimmberechtigten die Vorlage anzunehmen.
Gegen die Vorlage ausgesprochen haben sich die FDP und die SVP.
Abstimmung: Kampfjetbeschaffung (national)
Sind Kampfjets dringend notwendig für die Sicherheit der Schweiz oder ein unnötiges Luxusobjekt in Krisenzeiten? Um diese Frage zoffen sich derzeit die Befürworter*innen und Gegner*innen der Kampfjet-Vorlage, über die das Schweizer Stimmvolk am 27. September entscheiden wird. Abgestimmt wird über einen Kredit von rund 6 Milliarden Franken, mit dem die Armee und Verteidigungsministerin Viola Amherd bis 2030 eine neue Kampfflugzeugflotte auf die Beine stellen wollen. Dann erreichen die F/A-18-Flugzeuge der Schweizer Luftwaffe das Ende ihrer Lebensdauer. Möglich ist die Volksabstimmung Ende September nur, weil gegen das Beschaffungsvorhaben der Regierung erneut ein Referendum zustande gekommen ist. Bereits 2014 konnte die Stimmbevölkerung dank einem Referendum über den Kauf neuer Kampfjets befinden – damals wurde die Vorlage überraschend abgelehnt. 53.4 Prozent der Bevölkerung stimmten gegen das umstrittene Vorhaben, unter anderem auch deshalb, weil der gewählte Flugzeugtyp «Gripen» sogar unter Armeebefürworter*innen umstritten war. Für den Bundesrat und die Armee war der Ausgang der Gripen-Abstimmung ein Desaster. Mit ein Grund dafür, weshalb VBS-Vorsteherin Viola Amherd im jetzigen Abstimmungskampf eine komplett neue Strategie fährt. Weder der Flugzeugtyp noch die genau Anzahl an Maschinen soll zur Debatte stehen, sondern lediglich der Kredit in der Höhe von 6 Milliarden Franken und der Zeitpunkt der Erneuerung.
Ob sich diese Strategie bewähren wird, ist fraglich, denn laut ersten Abstimmungsumfragen steht die Kampfjet-Beschaffung erneut auf der Kippe. Befürworter*innen und Gegner*innen halten sich gemäss den Umfragen in etwa die Waage, wobei die Umfragewerte teilweise stark variieren. Es zeichnet sich also einmal mehr ein knappes Rennen ab, das Verteidigungsministerin Amherd zittern lässt. Mit einer ausgeklügelten PR-Kampagne und der Hilfe einer 29-jährigen Kampfjet-Pilotin will sie nun vor allem die weibliche Stimmbevölkerung von der Beschaffung neuer Kampfjets zu überzeugen. Schliesslich waren es mitunter die Frauen*, die den Gripenkauf im Jahr 2014 scheitern liessen. Um eine erneute Niederlage zu verhindern, koppelt das Pro-Komitee die Beschaffung neuer Kampfjets mittlerweile sogar an das Weiterbestehen der Armee. Zudem befürchten die Befürworter*innen, dass ein erneutes NEIN das definitive Ende der Luftwaffe bedeuten würde und die Schweiz damit an Sicherheit und Eigenständigkeit verliert. So betont etwa Nationalrat Heinz Siegenthaler (BDP / BE): «Wenn wir als Staat weiterhin souverän und eigenständig entscheiden wollen, wer unseren Luftraum durchquert, dann braucht es nun unbedingt eine Modernisierung der Kampfflugzeugflotte». Das Gegen-Komitee, das vor allem aus Mitgliedern der GSoA, der SP und den Grünen besteht, hält von dieser Argumentation wenig: «Die Vorlage ist absolut intransparent und nichts anderes als ein Blankoscheck für die Armee in der Höhe von insgesamt 24 Milliarden Franken», sagt Ronja Jansen (Präsidentin JUSO Schweiz).
Inforedaktor Salim Staubli hat im Rahmen unserer Abstimmungsserie beide Seiten zu Wort kommen lassen und mit Heinz Siegenthaler und Ronja Jansen einen Talk geführt:
Abstimmungsfrage: Wollen Sie den Bundesbeschluss vom 20. Dezember 2019 über die Beschaffung neuer Kampfflugzeuge annehmen?
Bundesrat und Parlament empfehlen die Vorlage anzunehmen.
Gegen die Beschaffung neuer Kampfflugzeuge sind die Grünen und die SP.
Für die Beschaffung neuer Kampfflugzeuge sind GLP, EVP, die Mitte, FDP und SVP.
Abstimmung: Begrenzungsinitiative (national)
Zum wiederholten Mal will die Schweizerische Volkspartei SVP mit einer Volksinitiative die «unkontrollierte Massenzuwanderung» aus der EU stoppen. Bereits am 27. September wird über die Sogenannte „Begrenzungsinitiative“ abgestimmt. Die SVP will das Abkommen zur Personenfreizügigkeit künden, damit würden der Arbeitsmarkt, die Sozialwerke und die Infrastruktur entlastet. Der Bundesrat hat sich bereits gegen die Initiative entschieden. Die Eidgenössische Kommission für Migration (EKM) hat gestern ein Positionspapier zur Begrenzungsinitiative veröffentlicht. Die EKM ist eine ausserparlamentarische Kommission und berät den Bundesrat und die Verwaltung in Migrationsfragen. Sie lehnt die Begrenzungsinitiative klar ab. Durch die Kündigung der Personenfreizügigkeit würde der Wohlstand der Schweiz viel mehr gefährdet als geschützt. Ausserdem sei die Personenfreizügigkeit ein Mosaikstein der Bilateralen Abkommen zwischen der Schweiz und der EU. Diese erleichtern den Menschen nicht nur die grenzüberschreitende Mobilität, sondern auch Zugang zu Waren- und Dienstleistungsmärkten. Es gehe aber auch einfach darum, dass Migration und Vielfalt zur Schweiz gehörten. Um die Zukunft der Schweiz zu gestalten, müsse man weg kommen von „Wir“ und „Die Anderen“, so Sibylle Siegwart, Stellvertretende Geschäftsführerin der Eidgenössischen Kommission für Migration. Währenddessen wirbt die SVP immer dreister und ausländerfeindlicher für ihre Initiative.
Das Gespräch mit Sibylle Siegwart führte Noëlle Grossenbacher.
Abstimmungsfrage: Wollen Sie die Volksinitiative «Für eine massvolle Zuwanderung (Begrenzungsinitiative)» annehmen?
Bundesrat und Parlament lehnen die Vorlage ab.
Für die Begrenzungsinitiative ist die SVP.
Alle anderen Parteien sind dagegen.

Die SVP Zürich wirbt mit einem Bild des Holocaust Denkmals in Berlin für die Begrenzungsinitiative und erntet einen Shitstorm (© Screenshot Twitter)
Abstimmung: Kinderabzüge (national)
Am 27. September steht uns ein Abstimmungssonntag der Superlative bevor. Gleich über fünf Vorlagen wird das Schweizer Stimmvolk entscheiden – eine davon ist die Änderung des Gesetzes zur direkten Bundessteuer. Sie will den pauschalen Kinderabzug sowie den Steuerabzug für Drittbetreuungskosten erhöhen.
Allerdings profitieren nicht alle in gleichem Ausmass von dieser Steuererleichterung. Generell kann gesagt werden: Je mehr Bundessteuern Eltern bezahlen, desto eher können sie von einem «Ja» bei der Abstimmung profitieren, weil sie einen höheren Abzug geltend machen können. Weil Wohlhabende so bevorteilt würden, hat ein Komitee von linken Organisationen das Referendum ergriffen. Das bürgerliche Gegen-Komitee betont, dass nicht nur Wohlhabende, sondern vorallem der Mittelstand von den Abzügen profitieren würde.
Der Streit dreht sich um die Tatsache, dass Eltern oder Alleinstehende mit tieferen Löhnen kaum oder nur zu niedrigen Tarifen besteuert werden und entsprechend auch kaum oder gar nicht von der Steuererleichterung profitieren würden. Gut 40 Prozent der Eltern bezahlen heute gar nichts an die Bundessteuer (gemeint sind hier 40 Prozent der Eltern mit Familien). Kinderlose Personen gehen bei einer Steueränderung leer aus.
Für die Gesetzesänderung ausgesprochen haben sich National- und Ständerat sowie der Bundesrat. Im Abstimmungskampf setzt sich vor allem ein bürgerliches Komitee unter der Leitung der CVP für den höheren Kinderabzug ein.
Abstimmungsfrage: Wollen Sie die Änderung vom 27. September 2019 des Bundesgesetzes über die direkte Bundessteuer (DBG) (Steuerliche Berücksichtigung der Kinderdrittbetreuungskosten) annehmen?
Bundesrat und Parlament befürworten die Vorlage.
Gegen die Erhöhung der Kinderabzüge sind Grüne, SP und GLP.
Für die Erhöhung der Kinderabzüge sind die Mitte, EVP, FDP und SVP.
Abstimmung: Jagdgesetz (national)
Wie soll man künftig den Wildtierbestand regulieren? Diese Frage steht im Zentrum der Diskussion zum neuen Jagdgesetz. Vor allem der Wolf sorgt in dieser Diskussion für viel Zündstoff. Die einen wollen ihn schützen, andere wollen ihn schiessen. Ob Jäger*innen dies tun dürfen, sollen neu die einzelnen Kantone entscheiden, das aktuelle Jagdgesetz verortet diese Kompetenz noch beim Bund. «Wir fürchten, dass die Kantone den Schutzgedanken nicht so stark wahrnehmen, wie wir als Natur- und Tierschutzorganisation uns dies wünschen würden», erklärt Ursula Schneider Schüttel, Präsidentin von Pro Natura, ihr Nein zur Vorlage.
Über zwei Jahre diskutierte das Parlament über das neue Jagdgesetz. Trotzdem konnten die beiden Kammern sich nicht abschliessend festlegen, erst mit einer Einigungskonferenz fanden die Verhandlungen einen Abschluss. Weil verschiedene Umweltorganisationen gegen das neue Gesetz das Referendum ergriffen haben, muss nun noch die Schweizer Stimmbevölkerung darüber befinden. «Die Konflikte nehmen zu, weil wir immer mehr Wölfe haben. Sie reissen Schafe und greifen sogar Mutterkuhherden an. Das neue Jagdgesetz ist ein Kompromiss, mit dem wir diesen Konflikten entgegen kommen können», argumentiert Bundepräsidentin Simonetta Sommaruga an einer Podiumsdiskussion im Politforum im Käfigturm. Und Stefan Engler, CVP-Ständerat aus dem Kanton Graubünden und ebenfalls Befürworter des neuen Gesetzes ergänzt: «Es geht hier einzig um Wölfe, die auffälliges Verhalten zeigen, zum Beispiel weil sie menschlichen Siedlungen zu nahe kommen».
Abstimmungsfrage: Wollen Sie die Änderung vom 27. September 2019 des Bundesgesetzes über die Jagd und den Schutz wildlebender Säugetiere und Vögel (Jagdgesetz, JSG) annehmen?
Bundesrat und Parlament empfehlen die Vorlage anzunehmen.
Folgende Parteien sagen JA zum neuen Jagdgesetz: die Mitte, FDP, SVP.
Diese Parteien sagen NEIN zum neuen Jagdgesetz: EVP, GLP, Grüne, SP.
Abstimmung: Vaterschaftsurlaub (national)
Die Schweiz ist in ganz Europa das einzige Land, das Vätern gerade mal einen einzigen freien Tag zugesteht, wenn sie Nachwuchs bekommen. Um diese Situation zu ändern, sammelte ein Komitee über 100’000 Unterschriften für einen vierwöchigen Vaterschaftsurlaub. Zu viel sei dies, sagten jedoch Bundesrat und Parlament und präsentierten ihren indirekten Gegenvorschlag, welcher noch 10 arbeitsfreie Tage vorsieht. Weil auch dies einigen Vertreter*innen der Wirtschaft zuweit ging, darf nun noch das Stimmvolk über den zweiwöchigen Vaterschaftsurlaub abstimmen; das Komitee Lohnabzüge Nein reichte erfolgreich ein Referendum ein. Seine Argumente gegen den Vaterschaftsurlaub: Zu teuer, vor allem für KMUs schwierig zu organisieren, er widerspreche einer liberalen Wirtschaftspolitik. Wie reagieren die Befürworter*innen auf solche Aussagen? Darüber sprachen wir mit Jean-Daniel Strub, Präsident von männer.ch
Abstimmungsfrage: Wollen Sie die Änderung vom 27. September 2019 des Bundesgesetzes über den Erwerbsersatz für Dienstleistende und bei Mutterschaft (Erwerbsersatzgesetz, EOG) annehmen?
Bundesrat und Parlament befürworten die Vorlage.
Folgende Parteien sagen JA zum Vaterschaftsurlaub: die Mitte, EVP, GLP, Grüne, SP.
Diese Parteien sagen NEIN zum Vaterschaftsurlaub: FDP, SVP